Alltagskultur in Taipeh: Zwischen Bubble Tea und Beethoven aus dem Müllwagen
Ob geordnetes Schlangestehen, stille U-Bahnfahrten oder Müllabfuhr mit „Für Elise“ – der Alltag in Taipeh zeigt, wie viel Rücksicht und Ordnung im Trubel einer Metropole stecken können.
Auch wenn Taipeh für asiatische Verhältnisse eine eher „kleine“ Großstadt ist, leben immerhin 2,5 Millionen Menschen innerhalb der Stadtgrenzen und nochmal 4 Millionen weitere im Ballungsraum. Jemand, der an die Größe und Menschenmengen Berlins gewohnt ist, mag daher vielleicht denken, dass das öffentliche Leben hier in Taipeh ähnlich funktioniert. Mit dieser, vielleicht etwas naiven Annahme bin jedenfalls ich vor zwei Monaten hier angekommen und musste schnell feststellen, dass die Dinge hier irgendwie doch ganz anders ablaufen als in der Heimat. Auch wenn ich mich schnell an vieles gewöhnt habe, sind ein paar interessante und kuriose, manchmal auch skurrile Eindrücke entstanden, von denen ich in diesem Blogeintrag erzählen möchte.
Poesie des Schlangestehens
Was mir gleich am Anfang meines Auslandssemesters – genauer gesagt auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt – aufgefallen ist, ist die Stille und Ordnung in der U-Bahn. Alles ist ruhig, die Leute sind am Handy und tragen Kopfhörer. An den Stationen wird sogar auf Schildern darauf hingewiesen, dass Gespräche nur leise gestattet sind. Den morgendlichen Kaffee (mittlerweile den Bubble Tea) auf dem Weg zur Uni darf ich hier leider auch nicht trinken; dafür ist aber alles sehr sauber. Auf dem Bahnsteig sind Markierungen, die den Wartebereich kennzeichnen und auf denen man sich anstellt. Die Leute warten bis alle ausgestiegen sind und ich sehe viele Menschen, die eine Maske tragen. Für mich, der an die BVG gewöhnt ist, wirkt das alles wie eine Parallelwelt – aber eine doch ziemlich angenehme.
Warten und Anstellen scheint hier in Taipeh sowieso einen ganz eigenen Stellenwert zu haben. Es wird angestanden, und zwar mit einer Ernsthaftigkeit, die ich als schon fast poetisch beschreiben würde. Ob am Bubble-Tea-Stand, im Restaurant, vorm Aufzug oder in der Mensa der Uni – die Menschen stellen sich ganz selbstverständlich in eine ordentliche Schlange, ohne Drängeln, ohne fragende Blicke, wer jetzt wohl dran ist (HU Mensa could never). Ich stand einmal nicht auf der Wartemarkierung auf dem Bahnsteig der U-Bahn, bis mich das Personal freundlich, aber bestimmt auf das Ende der Schlange hingewiesen hat. Seitdem bin ich ein großer Fan dieser stillen Übereinkunft – im ganzen Trubel der Metropole spart sie Nerven und Chaos.
Müllzeit ist Nachbarschaftszeit
Einen Kulturschock, den ich so nicht habe kommen sehen: Müll wegbringen ist in Taipeh eine kleine Wissenschaft für sich. Öffentliche Mülleimer oder Tonnen? Gibt es so gut wie nicht; und trotzdem sind die Straßen blitzeblank. Stattdessen fährt zweimal am Abend eine Kolonne von Müllwagen durch die Nachbarschaft – und kündigt sich mit der Melodie von „Für Elise“ an. Wenn man Müll entsorgen will, muss man also bei Erklingen der Musik auf die Straße sprinten, Tüten bereit, und hoffen, dass man nicht zu spät dran ist. Anfangs war das ganz schön stressig (ich hab den Müllwagen ein paar Mal verpasst und wurde einmal vom Müllmann angewiesen, das nächste Mal bitte pünktlich zu kommen), aber inzwischen hat es fast etwas Gemeinschaftliches: Müllzeit ist auch ein bisschen Nachbarschaftszeit.
Was sich durch die vielen Alltagssituationen zieht, ist meinem allgemeinen Empfinden nach eine bemerkenswerte Zurückhaltung und Ordnung im öffentlichen Raum. Lautes Lachen, Sich-Breitmachen, laute Gespräche und allgemeine Hektik – all das sieht und hört man hier eher selten. Es ist faszinierend zu beobachten, wie trotz der schieren Dichte an Menschen, das Zusammenleben in Taipeh so geregelt und gelassen abläuft. Anfangs hatte ich das Gefühl, selbst zu laut, zu schnell, zu „deutsch direkt“ und wie ein Elefant im Porzellanladen zu sein. Inzwischen habe ich mir einen etwas ruhigeren Gang angewöhnt – nicht, weil ich muss, sondern weil’s sich einfach gut anfühlt, Teil dieser stillen Rücksichtnahme zu sein.
22.04.2025
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Riccardo in Taipeh
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Ni hao! Ich bin Riccardo und studiere Internationale Beziehungen im Master an der HU. Das Sommersemester werde ich an der National Taiwan University in Taipeh verbringen und freue mich, in diesem Blog von meinem Studium, meinen Erfahrungen und Erlebnissen dort zu berichten!
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